Kunstkatalog Stefanie Brehm
100 Es gibt ein Foto von Stefanie Brehm bei der Arbeit in einem Atelier in den Niederlanden: Sie steht auf einem Gerüst, vor ihr eine große Säule. Es ist nichts Besonderes an dem Bild. Es zeigt lediglich, dass Brehm die Trägerwerkstoffe für ihre Bilder selbst anfertigt. So wie Maler ihre eigenen Leinwände bespannen, so stellt Brehm ihre Bildträger aus Ton her. Das ist keine einfache Arbeit und sie lässt sich nicht vom Resultat trennen. Die Künstlerin zieht den Ton stückweise beim Drehen auf der Töpferscheibe nach oben, bei den großen Säulen etwa fünfzehn Zentimeter pro Tag. Dazu bedarf es Geschick, Überzeugung und Willens- kraft. So schafft sie eine solide Grundlage für ihre Glasurbilder. Norbert Prangenberg und Markus Karstieß sind zwei Giganten, in deren Fußstapfen es sich nicht einfach treten lässt. Auf bemerkenswerte Weise ist es ihnen gelungen, der Keramik ein unverwechselbares Gesicht im Bereich der Bildhauerei zu verleihen. Beide Künst- ler nutzen die Eigenschaften von gebranntem Ton und wissen ihr Material auf natürliche Weise zu formen. Ein kunsthistorisches Bewusstsein ist sowohl den Skulpturen von Prangenberg als auch von Karstieß zu eigen. In seiner Arbeit bezieht sich Prangenberg re- gelmäßig auf einen der Archetypen der Keramik: den Krug, die Vase, das Gefäß. Seine festen Hände hinter- lassen Spuren im gebrannten Ton. Man sieht, welcher Finger Druck ausgeübt hat, und wo die ganze Hand die großen Formen herausbildete. Karstieß wiederum erinnert an das Surreale, an die unsichtbare Hand, die unbewusst den Betrachter anrührt. Seine kneten- den Hände versuchen, das Unbewusste im Rampen- licht anzusprechen. Seine vertikalen Bilder sind von menschlicher Dimension. Sie sind symmetrisch und bilden nichtmenschliche Figuren. Säulen tragen Dachgewölbe. Jeder, der sich für Ar- chitekturgeschichte interessiert, lernt über Funktio- nen und Bedeutung von Säulen. Die meisten haben eine runde Form, sie bestehen aus einem Stück und manchmal aus mehreren gleichförmigen Elementen. Eine Säule besteht aus Basis, Schaft und Kapitell. Die Basis setzt die Säule vom Boden ab, das Kapitell ist die Verbindung zum Dach. Karyatiden, die berühmten antiken Mädchenfiguren, die den Erechtheion-Tempel der Akropolis zieren, sind dagegen anders geformt. Durch sie schlich sich das Figürliche in die Architektur ein, sie nehmen auf etwas außerhalb der Architek- tur Bezug. Das Gebäude hat nicht nur eine Funktion, sondern auch eine Bedeutung, die durch die plastische Verzierung bezeugt wird. In der Ausstellung „Prangenberg, Karstieß, Brehm“, im Museum De Pont in Tilburg 2019, sind diese drei deutschen Künstler durch die Verwendung des Ma- terials und ihren gemeinsamen Hintergrund, den sie am Europäischen Keramikzentrum gewonnen haben, miteinander verbunden. Alle drei Künstler verbrach- ten dort zu unterschiedlichen Zeiten einen Studien- aufenthalt. Spielen, Experimentieren, und dann neue Kunstwerke schaffen - darum geht es am EKWC, das in den südlichen Niederlanden liegt. In der Ausstellung zum 50-jährigen Bestehen des EKWC kamen die drei sehr unterschiedlichen Bildenden Künstler zusam- men, jeweils mit Arbeiten, die vertikal ausgerichtet sind. Brehms Säulen in der Tilburg-Ausstellung leuchten in kräftigen Farben. Sie sind nicht modelliert oder grob bearbeitet, sondern fein abgestimmt und mit Glasur handbemalt. Das heißt, dass das Material, das in erster Linie dazu dient, eine Keramik wasserdicht zu machen oder dekorative Akzente zu setzen, hier zu einem un- abhängigen Medium befördert wurde. Glasur wird zur Malfarbe, die aus der Künstlerhand ihre Bedeutung erhält. Es gibt noch etwas, das die Glasur besonders macht: Jeder, der eine Glasur herstellt, sieht nach dem Brennen eine andere Farbe. Durch das Erhitzen auf über 1200 Grad Celsius kommt es zu chemischen Prozessen, so dass das Endergebnis erst sichtbar wird, wenn das Kunstwerk gebrannt wurde. Das Resultat kann zwar mit großer Wahrscheinlichkeit geplant, jedoch nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Einerseits produziert und wählt Brehm ihre Glasuren, Brennprogramme und Trägermaterialien mit großer Sorgfalt, und andererseits überlässt sie ihre Kunst dem Feuer, dem Unbekannten und schließlich dem Urteil des Betrachters. Die Zufallskomponente, die in jedem Glasurvorgang beim Brennen eine Rolle spielt und die Farben bestimmt, gehört zum künstlerischen Schaf- fensprozess. Brehms Arbeiten fügen sich daher sowohl in die historische Kunst der Malerei als auch der Keramik ein. Sie mag ihre Arbeit womöglich nicht eng eingeordnet wissen, doch in der Überzeugung, dass gute Kunst immer von guter Kunst handelt, leistet Stefanie Brehms Arbeit einen wertvollen Beitrag. Brehms Säulen Ranti Tjan
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